Lappland März 2015
+++ Kilpisjärvi +++ 200km +++ Haltitunturi (1324m), höchster Punkt Finnlands +++ Reisadalen +++ 20 km im white out +++ Gabelflug, alles muss mit +++ Tour de Reparatur +++ Alta +++
Bilder der Tour
Nachdem wir dem Staub fast 5 Jahre Zeit gelassen hatten sich auf unseren Pulken nieder zu lassen, ging es für uns in die Vorbereitungsphase für die nächste Wintertour. Als Startpunkt hatten wir uns Kilpisjärvi im äußersten Nordwesten Finnlands ausgesucht, was die Tour zu einer Fortsetzung unserer beiden bisherigen Touren in Lappland werden ließ. Die mittels öffentlicher Verkehrsmittel zeitaufwendige Grenzüberschreitung zwischen Finnland und Norwegen umgingen wir mit einem Gabelflug und dem Zielort Alta in Norwegen.
Der Flug verlief reibungslos. Bei der Gepäckausgabe waren wir aufgrund schlechter Erfahrungen wie immer etwas angespannt. Schließlich wurden bis zu diesem Zeitpunkt schon etliche Wochen in die Vorbereitung gesteckt und wenn dann ein Teil des Gepäcks nicht ankommt würde, wäre die gesamte Tour gefährdet. Denn unsere zeitlich Planung ist sehr straff und unsere Ausrüstung wurde zur Gewichtsoptimierung mit jeder Tour spartanischer. Dies bedeutet, dass die Ausrüstungsgegenstände unverzichtbar und oft so speziell sind, dass sie nicht durch einen Einkauf im nächsten Laden ersetzt werden können.
So waren wir fast schon etwas euphorisch als unsere Gepäckstücke vollzählig in Kittilä/Finnland auf dem Ausgabeband erschienen.
Am nächsten Tag ging es mit dem Bus nach Kilpisjärvi, unserem Startpunkt. Da wir im Flugzeug keinen Sprit für unseren Kocher transportieren dürfen, ist es vor jeder Tour ein mehr oder weniger großer Organisationsaufwand, diesen an den Zielort zu bekommen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir Wert auf gereinigtes Benzin (white gas) legen. Unser Kocher kann zwar auch Tankstellenbenzin verbrennen, aber durch die für den Ottomotor spezifischen Zusätze können die Dämpfe und Abgase beim Betriebs des Kochers zu Kopfweh und Reizung der Augen führen - nichts das wir auf unserer Tour im Zelt haben wollen! Leider konnte uns kein Laden-, Tankstellen- oder Werkstattbesitzer eine zufriedenstellende Antwort auf unsere Anfrage nach white gas, clean fuel oder stove petrol geben. Also war der Plan, dieses selbst zu bestellen und auf dem Landweg nach Kilpisjärvi zu schicken. Nachdem wir den Apartmentbesitzer unseres Nachtquartiers in Kilpisjärvi gefragt hatten, ob wir ihm Benzin schicken dürfen, hat dieser uns einfach angeboten dieses zu besorgen. Nach all den ins Leere laufenden Bemühungen war das kaum zu glauben. Leider haben wir auf unseren letzten Reisen nicht nur gute Erfahrungen mit solchen Zusagen gemacht. Gespannt näherten wir uns so der letzten möglichen Hürde, bevor es am 22. Februar auf Strecke gehen sollte. In das Arctic Polar eintretend begrüßte uns Annukka namentlich und hatte das Benzin bereits auf der Rezeption stehen. Wir waren begeistert!
In der Unterkunft begann dann das alte Spiel: das gesamte Gepäck wird großflächig im ganzen Raum verteilt, so dass man den Eindruck gewinnt, dass sich diese Menge an Material niemals in zwei Pulken verstauen lässt. Nach zig Ein-, Aus- und Umpack-Aktionen ist dann alles ordentlich verstaut und die Reise kann am nächsten Morgen losgehen. Dieses Mal bestand die Herausforderung darin, dass alles, was wir dabei hatten, aufgrund des Gabelflugs auch mit uns auf Tour musste. Denn im Vergleich zu unseren vorherigen Touren gab es kein Basislager, an dem die Kleidung für den Flug, die Gepäcktaschen oder andere Annehmlichkeiten zwischengelagert werden konnten. Eine Konsequenz war zum Beispiel, dass wir kein zweites Paar Schuhe dabei hatten.Somit schmückten uns die voluminösen Backcountry-Stiefel sowohl auf dem Flug als auch beim Essen gehen. Dies hat uns viele nicht immer zu deutende Blicke eingebracht.
Als i-Tüpfelchen des gelungenen Auftakts gab es am Abend vor unserem Aufbruch Polarlichter.
Bei angenehmen -10°C und Sonnenschein führte uns die erste Etappe 15km, meist bergauf, in Richtung dem 53km entfernten Haltitunturi, dem ersten Zwischenziel unserer Tour und mit 1328m die höchste Festlanderhebung Finnlands.
Nach einem sehr schönen zweiten Tag wurde die dritte Etappe etwas ungemütlich. Es windete stark und die letzten Kilometer legten wir bei völligem Whiteout zurück. Es ist ein befremdliches, manchmal auch beängstigendes Gefühl, ohne jegliche Orientierung durch eine fremde Landschaft zu laufen. Man sieht keinen Horizont, kein Oben, kein Unten. Es kommt vor, dass man den Eindruck hat man fährt, obwohl man steht und das man steht, obwohl man fährt. Um uns orientieren zu können, schauten wir ständig auf unser GPS geschaut, was uns aber sehr langsam voran kommen lies.
Der vierte Tag war unser Halti-Gipfeltag, an dem wir, zu unserem Glück, bestes Wetter hatten. Das Zelt ließen wir stehen und zogen, nur mit einer Tasche über den Schultern, los. Da der Gipfel sehr leicht zu besteigen ist, stiegen wir anschließend noch auf einige umliegende Erhebungen, unter anderem auf den Raisduottarhaidi (1361 m). Nach einem traumhaften Tag, zurückgelegten 20km und einigen Höhenmetern mit bester Fernsicht kamen wir glücklich und hungrig zurück zu unserem Zelt.
Nach diesem Zwischenstopp ging es weiter Richtung Raisadalen. Beim Planen der Strecke war uns klar, dass dieses tief eingeschnittene Tal die größte Herausforderung unser Tour werden würde. Auf unseren Karten konnten wir eine Stelle ausmachen, die für eine Winterdurchquerung mit Ski und Pulka geeignet erschien, ohne einen tagelangen Umweg zu erfordern. Der übrige Teil des Tals in dieser Gegend erschien steil abfallend und mit Pulken nicht vernünftig zu bewältigen.
Vom Halti hatten wir in der Ferne das Reisadalen bereits gesehen. Es durchzog wie ein großer schwarzer Riss die sonst weiße Landschaft. Beim Näherkommen war die Wirkung noch beeindruckender. Wir wussten, dass es mit den schweren Pulken nicht nur wegen des Gewichts an den steilen Hängen, sondern vor allem wegen des oft tiefen, weichen Schnees anstrengend werden würde. Grund hierfür ist, dass der Wind aufgrund der Bäume den Schnee nicht zu einer festen und kompakten Decke verpressen kann, auf der man ohne einzubrechen gehen kann. Zudem war der Schnee bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nass und schwer.
Am Abend vor dem Einstieg ins Raisadalen löste sich bei Andreas am linken Schuh die Sohle. Da die Metallachse zur Fixierung des Schuhs in der Bindung in der Sohle integriert ist, war an ein Weitergehen nicht zu denken. Also schlugen wir vor der Zeit unser Lager auf, füllten unsere Mägen und machten uns dann an die Reparatur des Schuhs. Mithilfe eines Zweikomponentenklebers (verarbeitbar nicht unter 15°C), unseres Kocher und viel Geduld gelang es uns, die Sohle wieder am Schuh zu fixieren. Wäre diese Reparatur nicht gelungen, hätten wir die Tour abbrechen müssen.
Am darauffolgenden Morgen ging es an den Abstieg. Wir mussten in einer langen Querung absteigen, was sich als schwerer herausstellte als gedacht. Oft mussten Geländeeinschnitte umgangen oder durchquert werden. Es war kein Abstieg, sondern ein ständiges Auf und Ab, wobei wir mit umkippenden Pulken, dem knietiefen, schweren Schnee und der Ungewissheit zu kämpfen hatten, ob wir einen Durchschlupf ins Tal finden würden. Am kräftezehrendsten war das permanente Durchbrechen der Ski durch den Bruchharsch, wonach die Ski unter Zuhilfenahme der Hände wieder an die Oberfläche geholt werden mussten. Wir nannten dies den „Raisadalendance“: Ski vorschieben, belasten, durch den Harschdeckel brechen, bücken und nach dem Ski greifen, Ski durch den Schnee und Harschdeckel nach oben ziehen, aufrichten und den anderen Ski nach vorne schieben, belasten, usw.
Als wir eine Chance zum direkten Abstieg über eine steile, 100m hohe Rampe sahen, seilten wir unsere Pulken mit Hilfe einer Reepschnur und einiger Bäume ab. So erreichten wir flacheres Gelände, über welches der Talgrund gut zu erreichen war. Auf dem gefrorenen Fluss Reisaelva ging es noch einen Kilometer zu einer kleinen Jagdhütte. Dort schlugen wir im letzten Tageslicht unser Zelt auf. Wir schafften an diesem Tag nur 4,2 km. Wenn das so weiter gehen sollte, stünden uns Nachtschichten bevor.
Nach der Erfahrung des heutigen Tages drehten sich unsere Gedanken immer wieder um den Aufstieg und unseren Zeitplan. Wie gelingt es uns aus diesem steilen Talabschnitt heraus zu kommen, wenn wir uns schon beim Abstieg so schwer taten? Wir studierten die Karte, erwogen Varianten und überlegten Strategien zum Lastentransport bevor wir erschöpft einschliefen.
Am folgenden Tag stand der Entschluss fest: statt das Tal möglicherweise noch kilometerweit nach einer geeigneten Stelle abzusuchen, suchen wir hier einen Ausweg, und wenn wir die Pulken aufwinden müssen. Zuerst galt es den Sommerweg zu finden, dem wir in der Hoffnung, dass dieser auch mit Pulken zu bewältigen ist, folgen wollten. Vorbei am Wasserfall Imofossen mit einer Rentierbegegnung ging es zu den Koordinaten, an denen ein Weg vom Tal auf den über uns verlaufenden Weg Nordkalottruta in der Karte eingezeichnet ist. Trotz großräumiger Suche fanden wir keine Möglichkeit auch nur ansatzweise mit der Pulka den Hang bewältigen zu können. Wir folgen dem Tal Richtung Norden auf der Suche nach einem flacheren Zugang zu dem Weg. Als dieser gefunden war, wendeten wir eine neue Taktik an. Einer ging ohne Pulka voraus, um eine Spur zu legen und den Harschdeckel aufzubrechen. Ohne das Gewicht der Pulka spurte es sich viel leichter und mit der Spur hatte es der zweite mit Pulka auch leichter. War der Erste ein paar hundert Meter gegangen, drehte er um und holte seine Pulka. Kam der Zweite derweil an das Ende der gelegten Spur, schnallte er die Pulka ab und spurte. So kamen wir wesentlich schneller voran als am Vortag. Zudem hatten wir das große Glück, das der Nordkalottruta in diesem Abschnitt pulkatauglich ist.
Als Andreas über die Baumgrenze lief und der Schnee wieder sein Gewicht trug, gab es einen lauten, weit zu vernehmenden Freudenschrei. Wir hatten es geschafft und das sogar an nur einem Tag.
Für die Durchquerung des Tals hatten wir in unserer Planung einen Tag vorgesehen. Da wir Zeit verloren hatten, wurden die Stirnlampen aufgesetzt und noch einige Meter im Dunkeln zurückgelegt. Der Zeltaufbau war anstrengend. Thilo bekam einen Schuh nicht aus der Bindung und behielt die Ski beim Zeltaufbau an, wogegen Andreas ohne Ski schenkeltief in den Schnee einsank.
Den Schuh befreiten wir nach dem Essen aus der Bindung.
Frisch erholt nahmen wir am Morgen die 9. Etappe in Angriff. Wir mussten Zeit aufholen. Es waren noch 86km bis Alta und wir hatten nur noch 4,5 Tage bis zu unserem gebuchten Flug. Bei gutem Wetter ging es los, aber kaum waren wir aus dem Einschnitt des Tals heraus, blies ein starker Wind. Er war zum Teil so heftig, dass Thilos Pulka, die durch das eingepackte Zelt einen höheren Schwerpunkt und eine größere Angriffsfläche hatte, umgeworfen wurde. Nach einigem Ausprobieren erwies sich als beste Lösung versetzt zu laufen und die windanfällige Pulka im Windschatten der anderen zu ziehen. Zu unserem Glück blies der Wind die meiste Zeit des Tages von hinten, so waren es nur kürzere Teilabschnitte in denen wir mit Seitenwind zu kämpfen hatten.
Was sich als deutlich beschwerlicher herausstellte, war das totale Whiteout, das uns oben auf dem Fjell empfing. Aufgrund fehlender Geländefixpunkte mussten wir den restlichen Tag nach GPS laufen. Zwischen den Kontrollblicken auf das GPS Gerät versuchten wir uns anhand der eingemessenen Windrichtung zu orientieren. Da man im Whiteout viel konzentrierter sein muss, kostete uns das enorm Kraft. Als weitere Herausforderung kam hinzu, dass sich zwischen Schuhen, Ski und Bindung durch das warme und stürmische Wetter Eisklumpen bildeten, die durch das Verformen der Schuhe und das Spannen der Schuhe auf dem Rist zu bemerken war. Die Eisklumpen mussten wir, wenn die Kräfte auf das Verriegelungssystem der Bindungen zu groß wurden, entfernen. Teilweise musste dies alle paar hundert Meter erfolgen, was sehr mühsam und nervenzehrend war. Auf unser Packliste ist ab dieser Tour ein kleiner Schraubenzieher aufgeführt, der für das Entfernen des Eises perfekt gewesen wäre. Trotz dieser widrigen Umstände schafften wir 20 km, was uns Mut machte.
Leider ließen sich am Abend alle Schuhe aufgrund des Eises in den Bindungen nicht von den Skiern lösen. In einem akrobatischen Akt bauten wir das Zelt mit den Ski an den Füßen auf. Als das geschafft war, mussten wir vor dem Zelt aus den Skischuhen samt Ski in die Daunenschuhe schlüpfen. Nach dem Essen wurde in stundenlanger Arbeit das Eis über dem Kocher aus den Bindungen geschmolzen um die Schuhe wieder von den Skier zu befreien.
Die folgenden Tage wurden das Wetter peu a peu besser, was unseren Kraftreserven und Etappenlängen sehr zu Gute kam.
Am 12. und letzten Tag hatten wir traumhaftes Wetter und unsere Route führte uns zum Abschluss über einen sehr steilen Abstieg ins Mathisdalen. Hier kamen nochmal alle erdenklichen Bremsmethoden zum Einsatz, wobei ein Abschnitt dabei war, an dem unsere Pulken beinahe mit uns statt wir mit ihnen abwärts rutschten. Nach diesem Abschnitt machten wir glücklich aber mit etwas weichen Knien eine kleine Rast, bevor wir fast schon übermütig den Rest bis zum Talgrund angingen. Unten angekommen folgten wir dem Mathisdalen Richtung Norden bis zur Ongajok Mountain Lodge. Von dort folgten wir dem Forstweg bis zu einem Parkplatz an der Krokelva. Dort riefen wir ein Taxi, das uns mitsamt dem Gepäck zum Hotel nach Alta brachte.